Monotheismus: Seine Durchsetzung

Monotheismus: Seine Durchsetzung
Monotheismus: Seine Durchsetzung
 
Der Begriff Monotheismus kennzeichnet eine Religion, die den Glauben an nur einen Gott vertritt. Allerdings gibt es unterschiedliche Auffassungen, was darunter genauer zu verstehen sei. Ist der Glaube an eine sachhafte, un- oder vorpersönliche Kraft, »Gott« im Sinn von »das Göttliche«, gemeint? Oder ist die kultische und theologische Konzentration auf eine Gottheit, die dann die anderen Göttinnen und Götter eines Pantheons in sich aufsaugt, auch als Monotheismus zu bezeichnen? Weil hinter dem Einheitsgedanken unterschiedliche Typen von Religionen zu erkennen sind, bezeichnet man in der Religionswissenschaft zunehmend die um eine letzte sachhafte Einheit kreisenden Vorstellungen als Monismus, die Konzentration auf eine konkrete Gottheit im Kontext eines Pantheons als Henotheismus und reserviert das Wort Monotheismus für die Behauptung der Einzigkeit einer letzten quasi-personal gedachten Instanz. Dieser Glaube ist in der Religionsgeschichte erstmals in der israelitischen Religion gebildet worden und später vor allem vom Christentum und Islam fortgeführt worden.
 
Die Schritte, die in Israel schließlich zum Monotheismus führten, sind noch nicht in allen Einzelheiten bekannt. Probleme machen einmal die Eigenart der biblischen Texte, die erst in und seit exilischer Zeit aufgeschrieben, überarbeitet und von der späteren Theologie her »geglättet« wurden, zum anderen Widersprüche zwischen diesen (ganz auf Jahwe bezogenen) Texten und einigen (polytheistischen) archäologischen Befunden. Dennoch lassen sich wenigstens die groben Linien rekonstruieren. Die im Gefolge einer semitischen Völkerwanderung im 13. und 12. Jahrhundert nach Palästina einziehenden Stämme brachten wohl ihre - uns nicht mehr bekannten - nomadischen Gottheiten mit. Jahwe gehörte nicht zu ihnen; ihn lernte erst die Mosegruppe im Umfeld Ägyptens kennen, wo sein Name schon rund 100 Jahre vor der Mosezeit bezeugt ist. Jahwe muss, wie die biblischen Hinweise auf seine Offenbarungen auf einem Berg, durch Wolkensäule und Feuer nahe legen, ein Berg- und Vulkangott gewesen sein. Er wurde also - anders als die nomadischen Gottheiten - an einem festen Ort verehrt.
 
Als die Mosegruppe das ägyptische Hoheitsgebiet verließ, nahm sie Jahwe - nach Art eines nomadischen Gottes - mit. Hierbei blieben ihm Reste seines früheren Territorialbezugs erhalten, symbolisiert im Heiligen Zelt und in der Bundeslade, wohl ein - transportabler - Thronsessel Gottes. Dieses Miteinander von sesshaften und nomadischen Zügen - Jahwe war jetzt Berg- und Hirtengott zugleich - dürfte der Grund dafür gewesen sein, dass sich die Jahweverehrung im Zuge der Landnahme und der beginnenden Sesshaftigkeit durchsetzen konnte; besser als nomadische Gottheiten war er in der Lage, Landbesitz (»Land Jahwes«, »heiliges Land«) und die neuen Lebensformen religiös zu sanktionieren.
 
Mit dem Übergang der israelitischen Stämme zum Ackerbau geriet der Jahweglaube in eine Krise. Die Gottheiten und Kulte der Kanaanäer, in deren Nachbarschaft sich die jüdischen Stämme einrichteten, schienen besser den Bedürfnissen der neuen ökonomischen Praxis zu entsprechen: Sie sorgten für Fruchtbarkeit der Äcker, aber auch des Viehs und der Menschen; die oft von sexuellen Motiven geprägten Kulte sollten die Vegetation fördern. Vor allem der als Stier dargestellte Baal, Inbegriff männlicher Potenz, aber auch Muttergottheiten wie Ischtar oder Astarte, Aschera und Anat, standen im Zentrum der Kulte; daneben gab es Himmels- und Wettergötter, die Els, und Astralgottheiten. Jahwe selbst hatte von seiner Herkunft her keine Bezüge zur agrarischen Fruchtbarkeit; viele Israeliten praktizierten deswegen die kanaanäischen Riten und opferten den Baalen.
 
Allmählich aber konnte der Jahweglaube die Bedeutung von Baal und Astarte zurückdrängen; Jahwe gewann die Kompetenz auch für die Ackerbaukultur, ohne die sexuell geprägten Kultformen zu übernehmen. Weil die Els im Himmel residierten und mit ihnen keine solchen Praktiken verknüpft waren, konnten sie mit dem Jahwekult verwachsen; Jahwe wurde zu Jahwe Elohim, dem Inbegriff aller Els. Wie sie residierte er jetzt im Himmel, was die Vorstellungen von Transzendenz und Göttlichkeit vertieften. Nach der Eroberung der jebusitischen Stadt Jerusalem durch David wurde Jahwe mit der dortigen Verehrung eines Sonnengottes verbunden, der für »Recht und Gerechtigkeit« zuständig war, was jetzt auf Jahwe übertragen wurde. Wenn man den archäologischen Zeugnissen vertrauen kann, wurde Jahwe gelegentlich auch zusammen mit seiner Frau, zum Beispiel der kanaanäischen Göttin Aschera, verehrt. Mit der Zeit wurde er nun der offizielle, nationale Gott Israels.
 
Schon die frühen Nomadenstämme hatten jeweils nur ihren Stammesgott verehrt. Diese Struktur der Gottesverehrung, ein Monokult oder eine Monolatrie, blieb auch weiterhin ein Erbe des Jahweglaubens. Zwar war dieser Monokult bis zum Ende der Königszeit weithin ein Postulat - »du sollst keine fremden Götter neben mir haben (das heißt verehren)« lautet in 2. Mose 20, 4 das erste der Zehn Gebote -; dennoch blieb die Versuchung stark, auch die Höhenheiligtümer aufzusuchen. Aber selbst wenn Jahwe allein verehrt wurde, war nur der Kult, nicht aber der Glaube an die Existenz fremder Götter ausgeschlossen; grundsätzlich blieb es also bei einem Polytheismus. Spätestens seit dem 8. vorchristlichen Jahrhundert aber scheint die Forderung nach einer Verehrung ausschließlich Jahwes entschiedener vertreten und durchgesetzt worden zu sein.
 
Wie wurde aus einem Monokult, auch als »praktizierter Monotheismus« bezeichnet, ein Monotheismus, der die ausdrückliche Behauptung von der Einzigkeit Gottes beinhaltet? Die Ursachen hierfür sind in den Bedingungen während des Exils zu sehen: Im 7. Jahrhundert v. Chr. konnte sich die im Süden Mesopotamiens gelegene Stadt Babylon von der assyrischen Herrschaft befreien und ein neues Großreich begründen, das sich bald auch Ägypten unterwerfen wollte. Im Zuge dieser Expansion kam es am Ende des 20. Jahrhunderts zur Eingliederung auch des Königreichs Juda in den babylonischen Staatsverband und - nach Aufständen - 587 v. Chr. schließlich zur Eroberung und Zerstörung Jerusalems, auch des Tempels, und zum Ende des davidischen Königtums. Die Babylonier deportierten die »oberen Zehntausend« (2. Könige 24, 14), also die Ober- und Mittelschicht, und siedelten sie in Mesopotamien an, wo sie in einigermaßen geschlossenen Siedlungen leben konnten; nicht wenige wurden dort heimisch und hatten bald ökonomische Erfolge.
 
Die jüdische Religion war durch das Exil in eine Lage geraten, die es in der Geschichte vielfach gab: Bei der Bildung von Großreichen, der damit erzwungenen Öffnung des Blicks auf einen weiteren, für die damaligen Verhältnisse »universalen« Horizont und bei dem konkreten Nebeneinander unterschiedlicher Kulte musste die eigene Religion plötzlich als eine Variante von vielen erscheinen. Überall in der Welt hatte diese Situation immer die gleiche Folge: Es kam zu einer Relativierung der eigenen religiösen Besonderheit, die nur als eine Möglichkeit unter vielen erlebt wurde. Zwar verehrte man in aller Regel die eigenen Gottheiten weiterhin. Um das tun zu können, musste man sich aber klarmachen, dass nicht die unverwechselbaren Merkmale der heimischen Götter, also etwa eines Baal, Jupiter oder Zeus, wichtig waren, sondern nur das hinter und in allen unterschiedlichen Gottheiten wirksame Göttliche; es kommt zu einer Verlagerung der Gottesvorstellung von einem (Poly-)Theismus, in dem die »Personen« eine Rolle spielten, zu einem Monismus, in der Gott als unpersönliches Prinzip hinter und in aller Wirklichkeit aufgefasst wird. Wie Sonne und Mond allen gemeinsam sind, aber unterschiedlich benannt werden, meint Plutarch um 110 n. Chr., so gebe es nur eine göttliche Kraft oder Vorsehung, wenn sie auch bei den verschiedenen Völkern unterschiedliche Götternamen trägt. Dieses Konzept machte es trotz des Wissens um die Zufälligkeit der eigenen religiösen Traditionen möglich, diese fortzuführen, verehrt man doch im Kult des Baal, Marduk, Zeus oder sonstiger Götter immer das eine Göttliche.
 
Zu dieser Relativierung der eigenen Tradition und zur Ausbildung monistischer Auffassungen waren ebenso die Herrenvölker der Großreiche gezwungen, wenn auch bei ihnen, die ja erfolgreich waren, der Anpassungsdruck geringer war; die Römer zum Beispiel glichen ihre religiösen Auffassungen für lange Zeit denen der unterworfenen Griechen an. Ein ähnlicher Prozess konnte auch durch weit reichende Handelsbeziehungen in Gang kommen; Händler lernten bei ihren Reisen die religiöse Pluralität kennen.
 
Auch die Juden im Exil hätten diesen Weg gehen können. Aber sie taten es - als einzige in der Religionsgeschichte - nicht und beharrten umgekehrt, wenn man so will in einem fast gewaltsamen Dennoch, auf der unbedingten Geltung ihrer eigenen konkreten Tradition und vor allem Jahwes. Er, nur er, sollte verehrt werden. Dies aber war unter den neuen Bedingungen nicht mehr wie bisher möglich: indem man einen prinzipiellen Polytheismus akzeptierte und zu Hause nur Jahwe verehrte. Jetzt musste der Monokult versöhnt werden mit der Universalität des Bewusstseins. Die Verehrung ausschließlich Jahwes war in dieser Situaton nur möglich bei gleichzeitiger Bestreitung der Existenz anderer Gottheiten. Der theoretische Monotheismus war geboren spätestens mit der Aussage des namentlich nicht bekannten Exilpropheten, dessen Sprüche dem Jesajabuch eingefügt sind, dass es keinen anderen Gott gibt (45, 14): »Nur bei dir (Israel) ist Gott, und sonst gibt es keinen, überhaupt keinerlei Gottheit«.
 
So resultiert also der Monotheismus aus der Religionsgeschichte und den Erinnerungen Israels mit Jahwe; der Monotheismus ist die Gestalt, die der ererbte Monokult unter den neuen Bedingungen des »universalen« babylonischen Reiches annahm, um noch weiter praktiziert werden zu können. Er ist die theoretische Begründung einer älteren Praxis in einer neuen Situation. Dieser Monotheismus ist deswegen auch nicht gleichzusetzen mit Henotheismus und Monismus, in denen das Einheitsprinzip ebenfalls sehr stark betont wird; denn worin die Einheit besteht, unterscheidet sich grundlegend: In Monismen sind die konkreten Formen plural, das allgemeine Göttliche aber eines; im Monotheismus gibt es dieses allgemeine Göttliche nicht, und ausschließlich das konkrete, oder besser: der konkrete Jahwe, die einmalige Person, ist universal gültig. Die jüdische Religion kennt deswegen noch nicht einmal einen Begriff für »Gott«, weil dieser immer eine Gattung anzeigt, zu der verschiedene »Exemplare« gehören könnten. Jahwe ist ein - etymologisch nicht restlos geklärter - Eigenname. Später diente Elohim als Äquivalent für den Begriff Gott, obwohl sich in diesem Namen lediglich die Verschmelzung mit den kanaanäischen El-Gottheiten spiegelt. Die Behauptung der absoluten Relevanz des Besonderen machte es Juden- und später Christentum und Islam nicht leicht, andere Religionen zu tolerieren, deren Andersheit immer als Bestreitung aufgefasst wurde; das mit ihnen Gemeinsame war nicht so leicht wahrzunehmen und anzuerkennen.
 
Seit dem Exil setzte sich der Monotheismus im Judentum durch. Dennoch wurde er nicht immer in seiner ganzen Strenge vertreten. Es gab auch noch die Vorstellung, dass Jahwe gewissermaßen in sich ein Pantheon vereinigt (Psalm 82) oder noch eine zweite göttliche Gestalt (Daniel 7, 9-14) oder die Weisheit oder auch zwei Engel neben sich hat. Erst seit der jüdischen Reform im 2. Jahrhundert n. Chr., die als Reaktion auf die Niederlage gegen Rom und die neuerliche Zerstörung des Tempels notwendig wurde, scheint sich überall ein strikter Monotheismus durchgesetzt zu haben. Der Monotheismus gehört zum Erbe auch des Christentums. Allerdings knüpfte die christliche Theologie schon im 2. Jahrhundert an die nicht so strengen frühjüdischen Traditionen an, sodass sich eine Trinitätslehre herausbilden konnte; sie erkennt Vater, Sohn und Geist an, ohne hiermit den Monotheismus aufheben zu wollen. Der Islam verkündet ganz eindeutig die alleinige Macht Allahs, der keine Teilhaberschaft kennt; insofern der Koran aber davon ausgeht, dass Allah bei der Schöpfung eine ungeformte Materie vorfand, ist seine All-Ursächlichkeit abgemildert. So bietet auch der auf den jüdischen Wurzeln beruhende Monotheismus noch einmal unterschiedliche Ausprägungen.
 
Prof. Dr. Karl-Heinz Ohlig
 
 
Brown, Peter: Die Entstehung des christlichen Europa. Aus dem Englischen. München 1996.
 
Christologie, bearbeitet von Karl-Heinz Ohlig. Band 1: Von den Anfängen bis zur Spätantike. Graz u. a. 1989.

Universal-Lexikon. 2012.

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